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Ein Restaurantbesuch mit Essstörung – Teil 1

Zur schlimmsten Zeit meiner Essstörung hat ein Restaurantbesuch schon mal grundsätzlich nicht am Mittag oder Abend des eigentlichen Datums begonnen, sondern bereits Tage, manchmal sogar Wochen vorher. Ganz spontan in ein unbekanntes Lokal zu gehen war damals unvorstellbar.

Jedes Mal, wenn ein auswärtiges Essen bevorstand, habe ich Ewigkeiten damit verbracht im Voraus Speisekarten und Online-Bewertungen verschiedener Restaurants zu studieren. Wenn ich aus heutiger Sicht darüber nachdenke, wie viel Zeit ich damit vergeudet habe, kann ich nur den Kopf schütteln. Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich tatsächlich mal einen gesamten Nachmittag ausschließlich mit der Suche nach eventuell geeigneten Restaurants in Berlin verbracht habe, weil mein Vater mich mit einem Wochenendtrip in die schöne Hauptstadt aufmuntern wollte.

Zwar bin ich nach wie vor der Meinung, dass es keineswegs schadet, einen Blick auf die Kritiken eines Restaurants im Internet zu werfen, aber niemals so krankhaft, wie ich es damals tat.

Einer fremden Person die Zubereitung meiner Speisen zu überlassen, war jedes Mal mit viel Aufregung und einem inneren Kampf verbunden. Nicht zu sehen, was genau in den Topf oder die Pfanne kam, konnte mich schon mal in den Wahnsinn treiben, denn in meinem Fall war die Essstörung auch mit einem exzessiven Kontrollzwang verbunden.

Wenn mein Vater zum Beispiel zum Abendessen kam, habe ich nicht nur entschieden, was ich essen würde, sondern auch seine Mahlzeit wurde vollständig von mir durchgeplant. Wenn er dann nicht nach meinem Vorstellungen aß, endete es in einem höllischen Streit. Es ist traurig, aber wahr. So besessen von der Krankheit war ich.

Da ich mir selbst einen Großteil von Standardprodukten nicht erlaubte, war es etwas so Besonderes, diese doch mal „essen zu dürfen“, dass es wenn dann auch in Perfektion sein sollte. Und ganz ehrlich?
Einer so essgestörten Person alles Recht zu machen, ist wirklich nahezu unmöglich.

Wenn der zeitraubende Prozess des Vergleichens endlich zu einem Ergebnis geführt hatte, habe ich mir die Speisekarte des gewählten Restaurants bereits vor dem Besuch bestimmt 10 Mal  durchgelesen. Ich wünschte, ich könnte sagen, das wäre übertrieben, aber das ist die pure Wahrheit. Jedes auswärtige Essen war mit einem anschließenden schlechten Gewissen verbunden, also sollte es sich doch wenigstens lohnen. Versteht ihr, was ich meine?

Umso näher der Restaurantbesuch rückte, umso größer wurde die Aufregung. Es gab allen Ernstes Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte, weil ich so nervös war, wie das Essen denn nun werden würde. Als wir mal nach Lübeck zum Sushi essen gefahren sind, habe ich die drei Nächte lang davor schon von den kleinen Reisröllchen geträumt.

Was sich dann im Lokal selbst abspielte, erzähle ich euch in einem weiteren Post, wenn ihr das wissen möchtet.

Ich bin so dankbar, dass diese Phase meines Lebens vorbei ist und ich heute so distanziert auf mein krankhaftes Verhalten blicken kann. Damals habe ich es allerdings nicht annähernd so wahrgenommen, verblendet von der Essstörung.

Eure Sophie

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